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Kulturvolk Magazin

Kulturvolk Blog Nr. 128

Kulturvolk Blog | Reinhard Wengierek

von Reinhard Wengierek

27. April 2015

Berliner Ensemble


Man muss schon sagen: Claus Peymann schmäht zwar gern lautstark die Ereigniskultur, versteht es aber dennoch, sie an seinem Haus heftig zu feiern. Mit Robert Wilson und Herbert Grönemeyer und Johann Wolfgang von Goethe und „Faust“ I und „Faust“ II“

 

wird für vier Stunden Spieldauer und einer halben Stunde Pause plus einem Viertelstündchen Premierenbeifall einschließlich Grönemeyer-Gesangseinlage das BE zum gigantischen Eventschuppen. Dazu nach 23.30 Uhr im BE-Hof unter grün ausschlagenden Bäumen die After-Show-Party unter weißen Schirmen an langen Tafeln im idyllischen Kerzenlicht.

Macht was her; auch wenn wir einigermaßen erschöpft waren. Und eingelullt von Herberts süffisant poppigem, gelegentlich auch feste dröhnendem Soundtrack und überfüttert von Bobs riesiger Schüssel randvoll mit Feinkost-Bildersalat. Goethe selbst, der von Jutta Ferbers kühn mit dem flotten Rotstift bearbeitete Autor, war da eher der die berühmten Stichworte gebende Souffleur und störte nicht sonderlich mit philosophischem Über- und Unterbau oder Metaphysik und Tragödie bei diesem tollen, mit 800.000 Euro Lottomitteln staatlich gestütztem Musical-Entertainment auf dem Klassik-Boulevard. Ist immerhin marktkonform, was ja nichts Schlechtes bedeutet.

 

Es war überhaupt nicht schlecht, als vor gut drei Jahrzehnten der texanische Regisseur Robert Wilson mit seinen luftig artifiziellen Bühnenspektakeln, einer völlig neuartigen Synthese von bildender Kunst, Musik und ritualisiertem Spiel inzwischen längst Praxis im Performancebetrieb –, das Theater aufmischte. Es war eine globale Sensation; mittlerweile verfestigt durch eine weltweit und kostspielig agierende Wilson-Factory, die längst immerzu das Gleichartige ausstößt. Im BE beispielsweise produzierte die Wilson-Maschine Brechts „Dreigroschenoper“ (großartig gelungen) und „Peter Pan“ (schön märchenhaft), Büchners „Leonce und Lena“ sowie Shakespeares‘ „Sonette“ hier erstickte beide Male die kunstvoll-künstliche Form die Inhalte. Wie auch jetzt wieder…

 

Einmal zwölf mit drei Mal eins ergibt die Zahl 12.111 – derart viele Verse brauchte Goethe für beide Teile seines „schönen Dings“, das er „Faust“ nannte. Peter Stein brachte es anno 2000 komplett zur Expo in Hannover zur Erstaufführung (!) an zwei Tagen in 22 Stunden. Damals ein singulärer Event! „Faust I+II“ ganz ohne Strich und mit der Meinung des Regisseurs, keine Meinung haben zu müssen. Ganz anders Nicolas Stemann vor ein paar Jahren in Hamburg mit einer spektakulären Revue aus sehr viel Goetheschem Über- und Unterbau sowie ebenso vielen drastischen Bezügen zum Heute. Reichlich Meinung also. Jetzt, bei Robert Wilson, gab es wieder wenig Meinung, dafür umso mehr Strich.

 

„Im ‚Faust‘ sprudeln alle Quellen der Sprache“, rühmte einst Goethe-Fan Thomas Mann. Im BE tun das bei weitem nicht alle und die übrigen kaum üppig, derweil das uns altvertraute Bühnenpersonal im rasenden Geschwindmarsch vom Himmel durch die Welt zur Hölle eilt. Doch eben darin offenbart sich das Grundelend dieser von Marionetten, Masken, Puppen, Schatten und Schemen statt von Menschen (oder menschlichen Figuren) bevölkerten Inszenierung: Es gibt keine Fallhöhen! Himmel und Hölle, Verbrechen und Liebe, der strebende Mensch und der verneinende Teufel – alles ein fein, teils auch grandios illustriertes Einerlei. Also kein Drama, schon gar keine Tragödie – so immerhin der Untertitel von Goethes opus magnum. Eher ein raffiniert skizzierter Zitaten-Comic, gegossen in ein fülliges Potpourri süffiger Songs – mal im Chor (zuweilen wie Rammstein dröhnend), mal romantisch volksliedhaft, mal wie Neue Deutsche Welle, mal Ragtime oder Cembalo-Zartheit, mal Rap oder einfach Mitklatsch-Schlager. Das alles ist drin. Ist gefällig und klasse gemacht von einer formidablen Acht-Köpfe-Band und einem großartigen Ensemble, das sich weder um inhaltliche Zusammenhänge noch um dramatische Entwicklungen zu scheren hat. Was die Chose nun nicht eben spannender und schon gleich gar nicht verständlicher macht. Direkt vor mir, Randplatz links Reihe neun, saß Grönemeyer und schlief immer mal wieder sanft ein.

 

Faustens unstillbare, brutale Gier nach Entgrenzung, sein „ziemlich Eingeteufeltes“ (so Mephisto) bleibt ungespielt. Wie auch sein finales Grauen über „der Menschheit ganzen Jammer“. Derartiges interessiert die Regie nicht wirklich. Es sei denn, man nähme das permanent grotesk Verpuppte und Blutleere des dauer-demonstrativen Spielgestus‘ als misanthropisches Sinnbild für der Menschheit tödliche Erstarrung oder entsetzlich tumben, ewig bösen Leerlauf. Für einige wenige Inszenierungsmomente mag das schlagend gelten, ansonsten dominieren statt dramatischer Wucht immerzu Slapstick, poetische Possierlichkeiten, zirzensisches Gepiepse, Gegirre, Gehopse und Getänzel – perfekt choreographiert in fantastischem Licht-Design. Dazu viele lustige Scherze, witzige oder bloß alberne Gags und prima zauberkünstlerische Einlagen. Süß und hübsch! Allein Mephisto bekommt mit dem hinreißenden Christopher Nell packende Kontur als bewundernswert agiler, cooler Kerl und sympathisch augenzwinkernder Kumpel von uns allen. Dennoch ist er kein lüsterner Bösewicht, der aashaft die Handlung vorantreibt. Denn: hier gibt es keine Handlung. Faustens Weg (hier sind’s gleich mal vier Fäuste, und Gretchen erscheint im neckischen Trio), Faustens so aufregende, philosophisch wie kriminell grundierte, von Testosteron getriebene Reise durch die alte wie die neue Welt ist halt bloß ein breit getretenes, obendrein ziemlich unerotisches Panoptikum pittoresker Situationen. Das ist nicht unbedingt abendfüllend.

 

Freilich muss gesagt sein, Goethens unendliches Rauschen und Raunen im antikisch-mythischen Südosten (der Tragödie zweiter Teil) überfordert selbst hartgesottene Philologen. Sogar der Autor hatte Zweifel, dass sein Füllhorn voller „ernster Scherze“ tatsächlich gänzlich über ein Publikum entleert werden sollte. Doch jetzt, im Schnelldurchlauf mit des Füllhorns Resten, die doch immerhin noch stark symbolisch erzählen vom schönen Traum und schlimmen Wahn der Menschen, da wird aus diesen sprachtollen Resten kein bildmächtiger Mythen-Zirkus. Höchstens eine Revue der Bühnentechnik.

 

Apropos Finale: Faust und Mephisto hocken zusammen auf einer Biergartenbank – ohne Bier, aber beide mit einem teuflischen Hörnchen auf dem Schädel. Zwei gleichermaßen Gehörnte: Der eine hat die Wette verloren, wird aber dennoch von keinem Engel gerettet; Mephisto kann ihn aber auch nicht kriegen, denn Faust ist selbst ein Teufel. Familienbande. Doch singen sie nicht im Duett „alles Teuflische zieht uns hinan“. Vielmehr rocken sie gemeinsam mit dem gesamten Ensemble Goethe-korrekt „Alles Weibliche zieht uns hinan“. Warum eigentlich? Die vertrackte Frage bleibt bei Robert Wilson sperrangelweit offen.

Gratulation

Constanze Behrends, Mitbegründerin der allzeit heftig akklamierten Weddinger Volksbühne „Primetimetheater“ (seit 2003) und Erfinderin der allzeit für volles Haus sorgenden komisch-grotesken Sitcom „Gutes Wedding, schlechtes Wedding“ (gegenwärtig läuft Folge 97 „Sex and the Wedding“), diese für ihre Schönheit, ihre superlangen Beine sowie ihren messerscharfen Grips und lebensechten, sarkastischen, tabulosen Humor weit über die Stadtbezirksgrenzen hinaus berühmte Autorin, die bekommt jetzt den „Jürgen Bansemer & Ute Nyssen Dramatikerpreis 2015“, dotiert mit 15.000 Euro.

 

Die Übergabe der seit 2008 jährlich vergebenen, privat finanzierten Auszeichnung findet am 20. Mai im Literaturhaus Köln statt. Die 1981 in Lutherstadt Wittenberg Geborene (auch Luther schaute dem Volk genau aufs Maul), diese großartige Komödiantin habe, so die Jury-Begründung, nach dem Schauspielstudium an der Charlottenburger Theaterwerkstatt „mit ungebremstem Sprachwitz und einem Mix aus Comic, Soap, Kiez ein erzkomisches Poptheater geschaffen“. – Muss ihr erst mal jemand nachmachen. Ich werfe begeistert den Lorbeerkranz!

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