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Kulturvolk Magazin

Kulturvolk Blog Nr. 120

Kulturvolk Blog | Reinhard Wengierek

von Reinhard Wengierek

2. März 2015

Schaubühne


Der Regisseur Thomas Ostermeier hat sich von seinem Bühnenbildner Jan Pappelbaum in den Saal C seines Theaters mit großem Aufwand ein elisabethanisches Theater bauen lassen, eine Art „Globe“; mit massig Holz, stammend aus einem ehemaligen Motodrom. Das Publikum sitzt übereinander gestapelt auf drei Rängen im Halbrund über einer mit Sand gefüllten Arena – ein bisschen wie im Zirkus. Gegenüber vom Sand bis zur Kuppel eine hölzerne Palastarchitektur für artistische Auf- und Abtritte. Aus dem Bühnenhimmel hängt ein Seil mit Mikro und LED-Strahler, an dem sich „die Pestepidemie von einem Mann“ hinauf- und herab hangeln und frei schwingen kann. Es ist natürlich nicht Tarzan aus dem Kino, sondern „Richard III.“ aus Shakespeares gleichnamigem Königsdrama.

 

Allein schon das dicke lange Seil als spektakulär-spezielles königliches Spielzeug macht uns klar: hier macht allein Richard das Ding, sein Ding, sein Drama. Das ist auch bei Shakespeare so. Die Titelfigur als absoluter Solitär, so inszenierte Ostermeier vor Jahren schon den „Hamlet“; das war bei Shakespeare nicht ganz so. Trotzdem, es wurde für Ostermeier und seinen Star Lars Eidinger ein Wahnsinnserfolg, inzwischen mehr als 230 Mal weltweit gespielt.

 

Jetzt ist Eidinger Richard, und die vielen schwächlichen bis schwachen Figuren um ihn herum, die er auf seinem blutigen Weg zum Thron gebraucht, missbraucht, umbringen lässt, sind nur Staffage, sind mehr oder weniger willige Gehilfen für Richards kaltblütig mörderischen Aufstieg nach ganz oben. Steht so beim Autor, der die Karriere dieses Serienkillers nicht dadurch spannender macht, indem er ihn als verwachsene „Missgeburt“ ausstaffiert – was freilich Eidinger - ganz Theatertier - vehement ausstellt durch seinen umgeschnallten Buckel, den Klumpfuß, die verkrüppelte Hand, die Prothese im Gebiss sowie den spastischen Gang. Shakespeare macht aus seinem vielfach körperbehinderten Superschurken eine einzigartig gleißende, hinreißend eloquente, unglaublich verführerische Intelligenzbestie. Die kennt sich selbst, und die kennt die Welt. Lars Eidinger spielt das hinreißend. Jeder Monolog, jede Szene ein Meisterstück an rhetorischer Überzeugungskunst. Da wundert sich Richard sogar selbst: Was für eine teigige, nach Gutdünken total manipulierbare Welt ist das, die sich da nach Lust, Ehrgeiz, Gier unheimlich flott zurecht formen lässt; man muss nur skrupellos Gas geben und geschickt drauflosreden: schon frisst einem alle Welt aus der Hand… Menschliche Hybris trifft auf Erschlaffung, auf eine Gesellschaft, die schier alles mitmacht und mit sich machen lässt, wenn man sie nur entsprechend bearbeitet. Richard, der perfekte Machttechniker, der geniale Propagandist. Das ist der zeitgenössisch relevante, höchst brisante Kern dieser hoch artifiziellen Inszenierung. Unsinn, wer da bloß herablassend lästert über Eidingers virtuose One-Man-Show; dabei kennt doch die Geschichte wie die Gegenwart genug derartige Unheil und Verwüstung über die Menschheit bringende Ein-Mann-Veranstaltungen.

 

Natürlich wäre Ostermeier nicht Ostermeier, würde er nicht zum Schluss der gut zweistündigen Richard-Monomanie ein so tolles wie poetisch sinnfälliges Ende arrangieren: Da klettert Eidinger, wie Gott ihn geschaffen hat, also (fast) nackt, in einem grausigen Albtraum im dunklen Saal an seinem schwankenden Seil mit der Lampe hinauf in die Höhe, höher und höher bis in die Finsternis des Himmels. Bis dort das Licht – einer Sternschnuppe gleich – verlischt. Die verbrecherische Raserei im Irdischen verglüht schließlich weit weg und weit oben im unheimlichen, schwarzen Nichts.

 

(wieder am 5., 6.,7., 13., 16., 17.,23., 30., 31. März)

 

Volksbühne

Die intellektuelle Vorlage für diesen vom Intellekt her kaum zu fassenden Abend sind Texte von Konrad Bayer, dem - so Heiner Müller - „interessantesten Autor“ der so genannten Wiener Konkreten Poesie, Anfang der 1950er Jahre. Müller: „Bayer war das wirkliche Genie dieser Gruppe, zu der unter anderen auch Oswald Wiener, Gerhard Rühm oder H.C. Artmann gehörten, und als Genie hat er sich folgerichtig rechtzeitig umgebracht“ (mit dem Schädel im Gasherd, da war der ansonsten ziemlich dandyhafte Bayer noch nicht ganz 32 Jahre alt).

 

Bayer zählt zu den kauzigen Dichtern, die von der mitteilenden Funktion der Sprache angeödet sind. Vielmehr nutzen sie die Sprache als Material für abstrakte Lautmalerei, für Nonsenslyrik. Für dadaistische Verrücktheiten und Späße. Bayers Kollege, Kumpel und (später) Herausgeber Rühm erklärte, worum es ging; nämlich das sprachliche Material „aus dem kausalen begriffszusammenhang in eine art semantischen schwebezustand zu bringen“. Wer da die Sinnfrage stellt für den Konrad-Bayer-Abend, den Herbert Fritsch unter dem kryptischen Titel „der die mann“ über die Volksbühne wirbelt, der liegt schon falsch.

 

Beispielsweise schreibt Bayer zig Mal hintereinander die beiden Worte „EIN UND“. Eine Reduktion, die erst durch einen bestimmten Rhythmus, eine besondere Klangfarbe, durch wechselnd chorisches oder solistisches Sprechen mit entsprechender Gestik und Bewegung zum Klingen kommt und – nimmt man all seine Fantasie zusammen zu einer Art Sinn. Seltsame Sache, die da im bonbonfarbenen Lichtrausch durch den Bühnenraum schwebt. Eben mitnichten ein Stück herkömmlicher Art, vielmehr eine graziöse Show aus Worten und Gesten, aus Sprech-, Gesangs-, Bewegungskunst, aus Farben und Musik, Licht und Luft und Stimmung. Ein wundersames, technisch perfektes, hochartifizielles Gebilde ohne Handlung, Figuren, Psychologie, wie trunken wankend zwischen Sentimentalität, Bissigkeit und Blödelei. Ein tolles luftiges Allotria einer tänzerisch-artistisch-akrobatischen Truppe aus zwei Damen und fünf Herren. Zwischen ihr auf der riesigen, von fantastischen Farblichtern durchwehten Leerbühne eine irrwitzig umhergeisternde Revuetreppe und ein gigantisches Trichtergrammophon.

 

Entsprechendes hat Herbert Fritsch vor Jahren mit „Murmel Murmel“ durchexerziert, seiner Erstregie an der Volksbühne. Vorlage war ein Script des Schweizer Aktionskünstlers Dieter Roth (1930-1998), das auf 176 Druckseiten nur das eine Wort „Murmel“ wiederholt. Fritsch, mit all seinen Abstraktionen ein wandelndes Füllhorn von Einfällen, machte aus dieser seriellen Seltsamkeit eine virtuose One-Word-Performance, die uns allein in der variantenreichen Wiederholung besagter Vokabel gewitzt ein bisschen was erklärt von der Welt, genauer: unserem verrückten Darauf-Herumgetrampel.

 

Fritschs Bühnenkunst (gereift durch ein Leben voll exzessiver Tiefs und Hochs), sein Wollen zielt insgeheim doch auf ein gewisses Quantum Tief- und Übersinn, der, wollen wir mal meinen, unter Oberflächen wabert. Deshalb zelebriert er durch Körper, Stimmen, Licht, Klänge (großartig dirigiert von Ingo Günter) die reine Oberfläche, die pure Lautmalerei, das simple „EIN UND“, das Dada, den Nonsens, das Nichts. Wer sich drauf einlässt, hat vor allem sein optisches Vergnügen; es gibt ja viel Wundersames zu gucken. Wer da nicht so ganz mitkommt, den drückt trotz des bunten Treibens die Langeweile. Ehrlich gesagt, Herbert Fritschs Erstling „Murmel Murmel“ bleibt unschlagbar, das Folgende ist alles fein gemachter und gemurmelter Aufguss. Bei allem Dada-Blabla: Es ist, trotz des super Ensembles, nicht recht abendfüllend. Ich hatte nach einer Stunde genug; doch es waren knapp zwei…

 

Preis der Filmkritik

Hat man nicht oft im Kino: Ein tolles Terzett von Virtuosen mit virtuosem Text: Schaubühnen-Star Katharina Schüttler, Sebastian Blomberg und Devid Striesow. Johannes Nieber fand das Glück, die drei casten zu können für sein faszinierendes Kammerspiel „Zeit der Kannibalen“. Selten wurde derart sarkastisch der westliche Geist der Zeit, der Politik und Weltwirtschaft auf den Punkt gebracht – als Farce.

 

Das Trio, abgrundtief aufgeklärt, souverän und doch kaputt von ihren Geschäften und Beziehungen und Nicht-Beziehungen, ist die Besatzung einer fernen Außenstelle einer hochmögenden, global agierenden Wirtschaftsberatungsfirma. Man residiert in einem Vier-Sterne-Hotel in der Hauptstadt eines gerade scheiternden Dritte-Welt-Staats; draußen wabert der ewige Smog, krachen Bomben und rattern die Kalaschnikows der religiösen Fanatiker. Die drei stecken in ihrer wie ein Raumschiff hermetisch abgeschlossenen Luxusbude fest und liefern sich gegenseitig erst aashaft durchtriebene, dann böse und schließlich, als die Gotteskrieger in die Zimmertür schießen, hysterische Endspiele. Doch bevor draußen die archaischen Krieger vor der Hoteltür das westliche Trio der Ungläubigen und Verderbten massakrieren, wird gnädig abgeblendet. Schluss mit Business. Das Davor aber: Eine moderne Apokalypse in der Luxuskapsel, dem Büro und Lebensraum der hyperkapitalistischen Wirtschaftskrieger des High-Tech-Westens – ein bizarres Gleichnis unserer Welt. Bekam jetzt den Preis der Deutschen Filmkritik 2014, schon in meinem Spiral-Block 96 habe ich diesen Film bejubelt – meine Spürnase für Preisverdächtiges; sage ich mal ganz uneitel.

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