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Kulturvolk Magazin

Kulturvolk Blog Nr. 119

Kulturvolk Blog | Reinhard Wengierek

von Reinhard Wengierek

23. Februar 2015

Volksbühne


Rechts auf der Bühne das Büro des Intendanten mit der feinen Holztäfelung. Doch da, wo sonst das schöne, freilich längst nicht mehr provokante Stalin-Porträt hängt, klebt jetzt ein Poster, auf dem zwei nackte Mädels sich lüstern räkeln. Daneben die Duschkabine. Und links auf der Bühne die Teeküche des Chefs nebst Besenkammer, einem beliebten Ort für schnelle Abgänge, wohl auch im echten Intendanten-Dasein. Volksbühnendirektor und Regisseur Frank Castorf inszenierte jetzt im Bühnenbild Bert Neumanns, das nahezu authentisch die Intendantenräume nachstellt, Henrik Ibsens selbstquälerisches Altmännerdrama „Baumeister Solness“ als grandios frivole Selbstbeschau. Als krachend sarkastischen, rührend anspielungsreichen Rückblick auf reichlich zwei Jahrzehnte Privatleben sowie die ganze Welt bewegende, hemmungslose Volksbühnenumtriebigkeit. „Viel zu privat!“, schimpft da Hilde Wangel, in die der alte Baumeister rettungslos verknallt ist Kathrin Angerer mimt sie als nach wie vor zuckersüße Lolita. Und wenn man weiß, dass Kathi einst die große Königin von Franks Herz und Bett war, da bekommen Ibsens Redeschlachten zwischen Altmänner-Abstiegsängsten und jugendlichem Aufstiegsfuror besonders delikate Brisanz. Ja wirklich, ziemlich privat! Und auch wieder nicht! Denn Castorfs mutige Draufsicht aufs Ich (O-Ton Ibsen: Gerichtstag halten mit sich selbst) folgt nur stichwortartig Ibsen, lässt dessen protestantisch gefärbte Selbstquälerei lax beiseite. Vielmehr zieht der nunmehr alte Knacker (63) trotz diverser Zipperleins mit praller Lebenslust und souveräner Geistesstärke über tolle alte Zeiten her. Klar, dass da zwischendurch auch mal Wehmut aufkommt. Ansonsten aber tobt vier Stunden lang (Wangel-Angerer: „Viel zu lang!“) die total überdrehte, zuweilen nervende, über weite Strecken hinreißend blödelnde Volksbühnen-Klamotte mit fleißig eingestreuten Geistreicheleien, ätzenden Sarkasmen oder überrumpelnd aufblitzenden Tiefsinnigkeiten und lakonisch eingestreuten Liebeserklärungen an all die Großen und Kleinen der Castorf-Ära -- und natürlich an Franks viele tolle schöne Frauen.

 

Den schönen Henry Hübchen Superstar gibt’s leider nur als lebensgroße Puppe, dafür gleich zwei Dutzend Mal. Die prima ausgestopften Henrys hocken in der ersten Reihe und werden in alter Slapstick-Manier fleißig malträtiert von der anbetungswürdigen Sexy-Kathi und dem akrobatischen Marc Hosemann, der als toller Castorf-Solness-Hecht horizontal und vertikal (beides kriegt er hin) über die Bretter jagt bis hinauf in den Bühnenhimmel. Und auch – wie weiland Ikarus wieder herunter. Tja, wer traut sich schon ein solch unverblümtes Selbstporträt, einen solchen mit Ironie vollgestopften Gerichtstag, eine solche Lebensbilanz voll schallendem Gelächter nebst ein paar Tränen im Adlerauge – oder in der Feinrippunterhose. Immerhin sagte schon Ibsen, Leben heiße, das Schlimme und Düstere gelassen wegstecken zu können. Castorf als eitel-freches Genie und unkaputtbare Ulknudel, die Weisheitszähne scheinen noch immer alle drin zu stecken im Großmaul. Hat er Glück gehabt! Und wir unsern Spaß.

 

(wieder am 7. und 20. März)

 

Komödie am Kurfürstendamm

Valerie Niehaus, ein einschlägig berühmter TV-Star (Soaps, Serien, Action-Filme, Event-Movies), und der Theater- und Fernsehschauspieler, Pop-Musiker und Pianist Stefan Jürgens spielen mal wieder eine der hinlänglich bekannten Beziehungskisten in der Komödie am Kurfürstendamm. Diesmal stammt sie vom Australier Norm Foster aus dem Jahr 1993. Nennt sich „Zwei wie wir“, was auf Allgemeingültigkeit der Konflikte verweist und konstruiert ist nach bis zum Überdruss bekanntem Muster: geschiedenes Paar von einst trifft sich zufällig ?! wieder und versucht über diverse Querelen hinweg ein neues Glück.

 

Wer unversiegbare Lust hat an dem unendlich strapazierten Genre, das da meint, frech hinter gutbürgerliche Fassaden zu gucken, aber doch nur Allerwelts-Banalitäten breit latscht, der mag sich einigermaßen amüsieren. Folke Braband hat die Chose höchst solide in Szene gesetzt (der begabte Regisseur kann immerhin auch anders, kann toller, kann inspirierter, fantasievoller). Die artige Ausführung seiner schlichten Anweisungen besorgt das Duo Niehaus-Jürgens, das einmal ein Paar war, sich trennte, und sich dann wieder – nettes Happyend – einander fand.

 

Eigentlich geht es in diesem Unterhaltungs-Blabla um den unermüdlichen Kampf des Mannes um die verlustig gegangene Ehefrau, in Rückblenden erzählt. Wobei diese, um es unverschämt zu sagen, eine ätzende Tussi ist. Da wundert man sich über den ziemlich kerlig antretenden Mann, dass er sich so sehr verzweifelt um die Wiedergewinnung seiner Ex bemüht. Wenn schon der Autor seine beiden Figuren (und erst recht das Weibchen) im modisch-üblichen Psychoklischee stecken lässt, hätten doch die beiden Spieler mit Charakterbums gehörig dagegen halten sollen. Haben sie aber nicht. Und der Regisseur dieser Plapper-Petitesse, dem wir so manche Glanzlichter auf dem Boulevard verdanken, hatte offensichtlich keine Lust, sie dazu anzustacheln. (noch bis 1. März)

 

Ein Commandeur, zwei Ritter

„Frankreich liebt Sie, Monsieur Ostermeier“, sagt hingerissen die Kulturministerin Fleur Pellerin (im lachsfarbenen Etuikleid, kniebedeckt). Die französische Botschaft am Pariser Platz hatte geladen, Empfang für Ehrungen (ohne monetäre Dotation), wie sie Frankreich Künstlern in sonderlich reichem Maße hochoffiziell zukommen lässt – das Samtkissen mit dem Orden präsentiert ein schmissiger Offizier in Galauniform (undenkbar hierzulande). Und eine schöne, würdevolle Geste! Diesmal neben dem Kissen auf dem Podest am Pariser Platz mit Blick aufs Brandenburger Tor: drei Deutsche.

 

Die Schauspielerin Nina Hoss und die Filmproduzentin Manuela Stehr („Alles auf Zucker“) erhielten den Orden der Klasse „Chevalier“ (Ritter). Diese erste Stufe der Auszeichnung kann vom Pariser Kulturministerium jährlich an bis zu 450 Personen verliehen werden. – Thomas Ostermeier im schicken dunklen Anzug, dazu weißes Hemd mit schwarzem Schlips (ein sexy Schauspielregisseur endlich mal jenseits vom branchenüblichen Schlabberjeans-T-Shirt-Look), Ostermeier wurde mit dem Titel „Commandeur de l’Ordre des Arts et des Lettres“ ausgezeichnet (zum „Officier“ wurde er schon vor fünf Jahren ernannt). Commandeur ist die dritte und höchste Kategorie des Ordens für Kultur in Frankreich; sie kann jeweils jährlich an höchstens 50 Personen verliehen werden, „die sich durch ihr Schaffen im künstlerischen oder literarischen Bereich oder durch ihren Beitrag zur Ausstrahlung der Künste und der Literatur in Frankreich und in der Welt ausgezeichnet haben“.

 

Der Zwei-Meter-Mann mit Dreitagebart dankte in fließendem Französisch und küsste schüchtern die zarte Ministerin. Hat Madame sichtlich gefallen! Der Chef der Schaubühne, seit 2010 Präsident des Deutsch-Französischen Kulturrats (und dort engagierter Kämpfer gegen die Verwässerung des Urheberrechts durchs Internet), ist ständiger, stets frenetisch umjubelter Gast beim Festival d’Avignon. Obendrein arbeitet er als Regisseur an großen französischen Häusern.

 

Entre nous lästerte er, schon ein bisschen beschwipst, an seinem Hals baumele ein Faschingsorden. Quatsch! Das schaumgoldene Ding sieht zwar – für einen Kulturorden – etwas übertrieben protzig aus, kommt aber aus tiefer Bewunderung für den hierzulande gern geschmähten Regie-Meister. Der Orden ist verdient! Ostermeier weiß das, und natürlich ist er stolz drauf. Dennoch, bei aller gegenseitigen Liebe zum Nachbarn, Intendanz-Angebote von jenseits des Rheins hat er stets abgelehnt, bis jetzt. Er hängt am Ensemble und nicht zuletzt an den tollen Möglichkeiten seiner Schaubühne. Und eben an Deutschland, das er nur zu gut kennt (und umso besser theatralisch spiegeln kann). Gratulation dem gelobten Trio! Auf deutscher Seite war weder die Kulturpolitik noch (außer mir!) die Theaterkritik vertreten. Gehört sich nicht. Warum können wir nicht einfach mal unvoreingenommen und hingebungsvoll jubeln und lieb haben. Das Buffet war für französische Verhältnisse bescheiden (die nachbarliche Wirtschaftkrise). Aber immerhin floss edler Rotweinen in Strömen. Und wer den Weg in die Bar fand (mit DJ-Tanzboden zu später Stunde), der durfte Champagner-Batterien leeren. Vive la France!

 

Stück aus dem Tollhaus

In der Berliner Brecht-Erben-Burg tobt mal wieder der Irrsinn: Denn wenn schon Brecht-Tochter Barbara Schall die Lizenz an Frank Castorf gibt, Papas „Baal“ in München zu inszenieren, dann weiß sie natürlich ganz genau, dass Castorf den Text nicht einfach nachbuchstabiert, dass er kräftig am Original herumdoktern wird. Angeblich hat die Hohe Hüterin der Brecht-Texte das Castorf-Brecht-Script sogar gesehen, aber erst nach der Premiere via Verlag Einspruch erhoben. Inzwischen wurde die kostspielige Produktion zum Theatertreffen eingeladen; jetzt soll sie abgesetzt werden. Drei Stimmen zu dieser Posse aus Absurdistan.

 

Martin Kušej, Intendant des Münchner Residenztheaters (Bayerisches Staatsschauspiel) nach dem Gerichtstermin:

 

„Der Suhrkamp Verlag hat das Residenztheater auf die sofortige Einstellung weiterer Aufführungen der 'Baal'-Inszenierung von Frank Castorf und Zahlung einer Vertragsstrafe verklagt. Jetzt ist es nach sechseinhalbstündiger Verhandlung vor dem Landgericht München zu einem Vergleich gekommen, der die Minimalpositionen beider Seiten abbildet: Die Inszenierung in ihrer jetzigen Form kann noch einmal in München und einmal beim Theatertreffen in Berlin gezeigt werden. Man kann uns aber natürlich nicht das Theaterspielen verbieten, sondern nur die Verwendung bestimmter Texte in bestimmten Zusammenhängen. Wir werden daher nach einem kreativen Umgang mit der entstandenen Situation suchen."

 

Regisseur Leander Haußmann:

 

„Ich kann gar nicht sagen, wie ich in diesem Moment meinen Freund Heiner Müller vermisse, dem es völlig wurscht war, was mit seinen Texten geschieht, Hauptsache nicht das, was im Buch steht, denn da kann man es ja nachlesen. Unter Regisseuren gilt Brecht als der Autor, den zu inszenieren einem Himmelfahrtskommando gleichkommt. Man wird schier erdrückt von soviel Sachkunde, die einhergeht mit Intoleranz und kunstfeindlichem Bürokratismus, grauhaarig und eitel in seiner ewigen, durch nichts hinterfragten, lehrerhaften, bildungsbürgerlichen, silberhaarigen, kordbejackten, nickelbebrillten, dünkelhaften Einfältigkeit, die uns im besten Fall vor die Schranken eines überforderten Richters bringt."

 

Rolf Bolwin, Direktor des Deutschen Bühnenvereins:

 

„Seit Jahren weigert sich der Gesetzgeber, die für die Theater drängenden Fragen des geltenden Urheberrechts anzugehen. Das kann so nicht weitergehen. Der Streit zeigt, wie sehr das Urheberrecht mittlerweile die Freiheit der Kunst behindert. Ein in Stein gemeißeltes Urheberrecht entspricht der heutigen Aufführungspraxis in keiner Weise. Es ist unrealistisch, von einem Regisseur zu verlangen, auf Fremdtexte in der Inszenierung eines Stückes zu verzichten, um einen Urheber wie Brecht zu schützen, der fast 60 Jahre tot ist. Ziel der Aufführung eines seit Jahrzehnten existierenden Werkes muss es sein, es mit der heutigen Sicht eines Regisseurs auf die Welt zu konfrontieren. Wenn es dazu zusätzlicher Texte bedarf, sollten die Erben nicht aufgrund des Urheberrechts einen Verzicht einfordern können. Das wird der in Artikel 5 Abs. 3 Satz 1 Grundgesetz geschützten Freiheit der Kunst, auf die sich der Regisseur berufen kann, nicht gerecht.“

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