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Kulturvolk Magazin

Kulturvolk Blog Nr. 116

Kulturvolk Blog | Reinhard Wengierek

von Reinhard Wengierek

2. Februar 2015

Theater am Kurfürstendamm


Die perfekte, zugleich massenwirksam familiär-intime Klopperei unter Paaren wie zwischen Generationen liefert der grandiose US-Literat Tracy Letts mit seinem Film-Script „Im August in Osage County“. Da wird keinerlei Rücksicht genommen auf gutbürgerliche Fassaden, Verklemmtheiten, Verdrängungen, Lebenslügen. Klar, dass sich Stars wie Meryl Streep und Julia Roberts nebst anderen Groß-Könnern des mimischen Gewerbes um die Mitwirkung in diesem Hollywood-Film geradezu rissen. Eine schwer beeindruckende, rabenschwarz gerahmte Komödie vom toll gelebten (oder eben verbittert nicht gelebten) Mittelklasse-Leben in der amerikanischen Provinz und obendrein vom bedrohlich vor und in der Haustür stehenden Tod. Ein lebenspraller Mix aus Komik und Grauen - Albee, Williams, O’Neill lassen grüßen. Eine Tragödie.

 

Was die Wirkung des Films betrifft gilt auch für dessen Bühnen-Adaption; jetzt unter dem Titel „Eine Familie“ im Kudamm-Theater in einer Produktion der Fa. Santinis unter Leitung des israelischen Regisseurs Ilan Ronen; Chef des israelischen Nationaltheaters Habima Tel Aviv und Vater von Tochter Yael und Sohn Michael, beide arbeiten gegenwärtig erfolgreich in Berlin.

Ilan Ronen lässt die schweren Konflikte aufeinander krachen, zeigt die bösen, sadomasochistischen Auswüchse, offenbart alle Schmerzen, alle Wunden, lässt aber auch das Komisch-Groteske nicht aus. Eine wahnsinnige Familienschlacht – und doch nicht ohne die berührenden, stillen Momente der Sehnsucht nach Glück. Freilich kann das nur mit einem super Ensemble gelingen – Frier, Karusseit, Kempter, Manteuffel, Löbau, Breckwoldt, Messutat, Vrgoc, Lowenberg, Plaas-Link, Sandeh.

Zugleich aber steckt in diesem durchweg und ohne Hänger packenden Drei-Stunden-Abend noch eine Art Lehrstück über zwischenmenschliche Wahrheitsfindung. Dabei offenbart sich ein übergeordneter, psychologisch-philosophisch spannender Konflikt. Die große österreichische Autorin Ingeborg Bachmann sagte knallhart, die Wahrheit sei dem Menschen zumutbar. Dagegen steht die etwas vorsichtigere Meinung Thomas Manns; in seinem Goethe-Roman „Lotte in Weimar“ legt er sie dem Dichterfürsten in den Mund: „Das Leben wäre nicht möglich ohne etwelche Beschönigung durch wärmenden Gemütstrug, gleich darunter aber ist Eiseskälte. Man macht sich groß und verhasst durch Eiseswahrheit und versöhnt sich zwischenein, versöhnt die Welt durch fröhlich-barmherzige Lügen des Gemüts.“ Davon ist freilich bei Tracy Letts (Übersetzung: Anna Opel) kaum die Rede. Das brutale, eiskalte Umsichwerfen auch mit schlimmsten Wahrheiten – hier zeitigt es vernichtende Wirkungen. Eine Sache schwer zum Nachdenken. Man könnte auch Friedrich Nietzsche bemühen, der meinte: „Man bleibt nur gut, wenn man vergisst.“ Auch dieser bedenkenswerte Spruch über totale Recherche und rücksichtsloses Offenlegen passt in dieses großartige, unheimliche, in jeder Hinsicht starke Stück. (bis 13. Februar und wieder im April)

Theater des Westens

„Alma heißt nährend, und ich nähre fortwährend: Ich geb' meine Busen den Söhnen der Musen…“ – Ach, schon wieder diese Alma Schindler-Mahler-Werfel-Gropius-Kokoschka-Zemlinski-Klimt-und-wie-sie-alle hießen! Freilich, wir wissen längst ziemlich Bescheid über dieses Mädel, seinerzeit gepriesen als schönstes von Wien und bewundert als Furie sowie flippigste Skandalnudel ihrer Zeit, weil angebetet von den tollsten Kerlen, denen Alma sich auf die verrücktesten wie gängigsten Arten hingab. Motto: „Jeder, der ein Künstler ist, will, dass ihn die Alma küsst.“ Und die Alma wollte es auch – voll von Gefühlen, Eitelkeit, Machtgier und Berechnung. Womit das wilde Weib schließlich zu einem hinreißend widersprüchlichen Gesamtkunstwerk wurde voller Schönheiten und Schlimmheiten. Alles unter dem Kalenderspruch, den sie keck und ohne falsche Bescheidenheit schon als Teenie tönte: „Ich möchte eine große That tun!“ Daran werkelte sie denn auch voller Begeisterung über sich selbst (und über ihre Männer) ein sagenhaft exzentrisches Leben lang.

 

Wie gesagt, wir kennen es einigermaßen. Und doch schafft es das großartige Künstlerduo Nini Stadlmann & Tom van Hasselt, dem Alma-Roman neue Drauf- und Einsichten abzuringen. Die Sänger-Schauspielerin und der Pianist und Dichter offerieren in ihrem süffisanten Zweistunden-Programm „Alma und das Genie“ zum einen eine frivol-ironische Selbstsicht der Grand Dame (bei der sich „ich genies“ auf „die Genies“ reimt), zum anderen entrollen die beiden einen sarkastischen Dialog zwischen Stadlmann und Hasselt über das Subjekt ihrer in ironisch distanzierten Bewunderung. Und alles kommt herrlich zusammen; geht im Gesang, im Selbst- und Zwiegespräch bei fein schwärmerisch oder dramatisch wuchtiger Untermalung mit Klaviermusik auf in ein packendes Porträt der teuflisch durchtriebenen, himmlisch naiven Göttin namens Alma.

 

So was überaus Gewitztes und Geschliffenes habe ich lange nicht erlebt – die ganze große feuilletonistisch-literarische Kleinkunst von Polgar, Tucholsky, Kästner bis Holländer oder Kreisler schwingt mit in diesem musikalisch-literarischen Kabinettstück voller Frivolität, Witz und Ironie sowie gezielt dosiertem Zynismus. Da geht pointiert die Post ab ohne Federboa-Werfen, ohne Wimperngeklimper oder Schmachtaugenverdrehen. Aufkommende Melancholien und bittersüße Sentimentalitäten werden rasch wieder weggesteckt. Es dominieren Nüchternheit, Lakonie, Pointenstärke („Ich sag bloß ‚Mann, bist du genial‘, schon regt sich sein Genital…“). Und natürlich regiert eine so perfekte wie sensibel nuancierte Vortragskunst. Äußerst unterhaltsam, äußerst erfrischend. Also großes Amüsement – aber mit Köpfchen.

 

Nebenbei bemerkt, das philosophisch-musikalische Kammerspiel geht letztlich hinaus über furiose Brettlkunst (die ohnehin, wenn gekonnt, was Tolles ist). Dieser Abend rangiert in der ersten Liga; er passt in jedes Staatstheater. Intendanten und Impresarios aufgepasst: Hier ist über die gute alte Alma noch etwas Neues, Originelles, selbstredend Glanzvolles und Geistreiches zu entdecken – eben das köstliche Duo Nini & Tom! Den Künstlern Stadlmann & van Hasselt gehört unbedingt das große Podium, das breite Publikum.

 

Uraufführung von „Alma und das Genie“ am 2. Februar im Spiegelsaal des Theaters des Westens. Dann im Berliner Zebrano-Theater (20./21. Februar) und im Maschinenhaus der Berliner Kulturbrauerei (29./30./31. März). Dem folgt eine Deutschland-Tour.

Kudamm-Komödie-Extratipp - Hinreißende Lachnummer mit bitter-süßer Träne im Knopfloch

Es mag ja das Kindsköpfige in mir sein, aber ich habe selten so gelacht im Theater wie bei Franz und Paul von Schönthans unverwüstlichem Spaß-Klassiker von anno 1884 „Der Raub der Sabinerinnen“ , den, einige Jahre ist’s her, Katharina Thalbach erst in Rostock und dann in Potsdam und in der Kudamm-Komödie inszenierte. Ein maximal irrwitziger Schwank, total verblödelt und dennoch eine zu Herzen gehende Hommage auf den zum Sinnbild gewordenen Theaterdirektor Striese und seine sich über alle nur denkbaren Misslichkeiten hinwegsetzende, aufopferungsvolle Liebe zum Theater wie zur Kunst überhaupt. Wer für die Bühne brennt, muss allen Strieses dieser Welt zu Füßen liegen! Eine kleine und doch ganz große Sache, diese Strieserei. Man wird sie nie vergessen. (Wieder und nur für zwei Mal am 10. / 11. Februar.)

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