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Kulturvolk Magazin

Kulturvolk Blog Nr. 114

Kulturvolk Blog | Reinhard Wengierek

von Reinhard Wengierek

19. Januar 2015

Schaubühne


Es war einmal ein kleines Land. Dort hieß es: Von nun an sei alles anders. Gerechtigkeit würde herrschen, Nächstenliebe, der neue Mensch. In Wirklichkeit aber war alles wie immer; der alte Adam blieb sich treu. So steht es in Christa Wolfs Roman „Der geteilte Himmel“

 

aus dem Jahr des Mauerbaus, der in der DDR nie gedruckt worden wäre ohne das hinreißende Mädchen Rita, das seinen Glauben an die Verkündigung der Neuzeit mit ihren neuen Menschen so tapfer verteidigt. Schwer angeschlagen hält es dennoch sein rotes Fähnlein aufrecht. Und lässt die große Liebe seines jungen Lebens zu Manfred im Stich. Der hat längst, schwer enttäuscht, die Fahne eingerollt, ist rüber nach Drüben. Trotz flehentlicher Bitten: Rita blieb und sagte schweren Herzens: „Einmal muss man ans Unmögliche glauben!“ Das orthodoxe Prinzip Hoffnung im literarisch-sozialistischen Realismus.

 

 

Mit gleichermaßen starker wie nüchterner Empathie für eine himmelstürmende Vergeblichkeit inszenierte in Dresden Tilmann Köhler Jahrgang 1979 – Christa Wolfs bittersüße Geschichte einer himmlischen Zuneigung, die an Prinzipienreiterei zerbricht. – Es lohnt sich wirklich, nicht nur zur Semperoper, sondern auch ins Schauspielhaus zu fahren!

 

Auf leerem Podest demonstriert da ein wunderbar spielerisches Ensemble in teils kabarettistischer Überhöhung den grauenvollen DDR-Alltag in VEB-Buden, SED-Büros und Kleinbürgerhöllen, der Manfred von Rita fort und außer Landes treibt, derweil sein heiliger Engel des Sozialismus sich beflügelt am Hochhalten ihrer weltverbesserischen Ideale. Je mehr sie sich darin verkrampft, umso steiler kippt das Spielpodest himmelwärts, bis es kaum noch Halt gibt. Freilich, das Comic-hafte Skizzieren der realsozialistisch üblen Zustände, die überhaupt antipsychologische Spielweise, durchsetzt mit poetisch trefflichen Bildern, offenbart kühl das tragödische Konstrukt des Romans und geht zu Lasten der Einfühlung ins Liebensleben des schwierigen Paars. Wirft aber ein etwas anderes Licht auf Christa Wolf: „Der geteilte Himmel“ nicht als sentimentales Rührstück mit Durchhalteparole (der sich die Autorin selbst lebenslang qualvoll aussetzte). Und nicht nur als Warnbild vor dem zerstörerischen Stalinismus, sondern als frühe, tieftraurige Grablegung einer schönen Idee. Ein verständnisvoll kopfschüttelnder Blick der ums Verstehen ringenden Enkel auf die bis ins Heute wehenden Schmerzen der Altvorderen. (Erst kürzlich zum Mauerfall-Gedenktag im November 2014 gab es ein Gastspiel im DT, das auch dort schwer beeindruckte!)

 

Denn Christa Wolf beschrieb ja zugleich eine immer gültige Lebensweisheit: Der jugendliche Elan, sich für eine für gut gehaltene Idee einzusetzen, der kann, wenn denn ihre Behauptung nicht ins Diktatorische, ins Unmenschliche kippt, etwas sehr Schönes, Erfüllendes, etwas Lebenssinn-Stiftendes sein, selbst wenn man dabei viele Federn lassen muss und es nicht gut ausgeht – dafür wird man halt auch ein bisschen klüger… Das wollen wir, bei allem späten Wissen um Vergeblichkeit, nicht ganz vergessen. Denn der „Himmel“ teilt ja nicht nur ideologische Systeme, er vermag auch und immerzu gegensätzliche Lebensansprüche zu trennen.

 

Das wäre auch ein spannender Ansatz gewesen für eine Erzählung des „Geteilten Himmels“ selbst am Kurfürstendamm. Doch Regisseur Armin Petras, einst Chef des Gorkis und seit zwei Spielzeiten Direktor der Stuttgarter Schauspiels, der hat jetzt, bei seinem ersten Rückspiel in Berlin an der Schaubühne, aus der örtlichen Besonderheit und der Möglichkeit, gerade dort aus dem tragischen Zusammenprall sozialistischer Ideale („einmal an das Unmögliche glauben“) mit der sozialistischen DDR- und kapitalistischen BRD-Wirklichkeit künstlerisch Kapital zu schlagen, bloß ein grau grundiertes Trauerstück gemacht über eine (der Schlaumeier von heute) letztlich ziemlich dumme Vergeblichkeit.

 

Durch enorme Verkürzungen bleiben sowohl die große Liebe zwischen Rita und Manfred als auch deren übergroße Bedrängungen blass. So dominiert demonstrativ das Plakative; Konflikte werden einem Katalog gleich korrekt aufgezählt. Und: Armin Petras erzählt nicht linear (eigentlich meditiert er ja eher); er macht es kompliziert verschachtelt. Wer den Roman nicht kennt, muss sich vieles zusammen reimen. Auch, weil das Personal gestrichen wurde bis auf die beiden Hauptfiguren (Jule Böwe als Lehrerein Rita und Tilman Strauß als Chemiker Manfred) sowie die Figur des Arztes (Kay Bartholomäus Schulze), der die über den Zusammenbruch der Liebe zusammenbrechende Rita betreut. Alle drei agieren auf einem schmalen, mit scharfen Eissplittern bestreuten Laufsteg mitten durchs Publikum (die Mauer nebst Stacheldraht). Und dort wird, von unerheblichen, teils albernen Kleinigkeiten abgesehen, nicht viel gespielt, sondern vornehmlich geredet. So gleicht der etwas breit getretene (und geredete) Abend alles in allem den hinlänglich bekannten Ansagen aus einem Lehrstück über Utopieverlust, garniert mit schwarzweißen Filmeinblendungen trostloser Landschaften und ebensolcher DDR-Milieus.

 

Die Regie strengte vermutlich ein rhetorisch-hörspielhaftes statt poetisch-spielerisch geprägtes Kammerstück an. Heraus kam jedoch ein anstrengend nüchterner, ziemlich lebloser Gedankenabschlag über diametrale, ideologisch einschlägig gefärbte Lebensansichten. Dass Petras das traurige Paar nach dem Mauerfall (gemeint ist: heute) noch einmal zusammenbringt, bringt uns die Figuren auch nicht näher.

 

Eins aber muss unbedingt gesagt sein: Allein die große, starke, bewundernswerte und einzigartige Jule Böwe vermag eine schöne schwere Ahnung zu geben von einem zum Zerreißen gebeutelten Menschen zwischen Zartheit und Unerbittlichkeit, zwischen Himmelhoch und Am-Boden-Zerstört, zwischen juchzendem Steigen und schmerzlichstem Fallen und unter beschwerlichem Sich-wieder-Aufraffen. Einzig in dieser einen, uns letztlich doch hautnah gebrachten Figur lebt die Autorin, lebt ihr poetisch durchwirkter und so gar nicht nüchtern rednerischer Roman, lebt der fundamentale, alle Zeiten überdauernde Konflikt. Jule Böwe als Rita Seidel ist die von allen Himmeln zerschnittene Figur.

Schmökerecke

„Thomas Ostermeier nähert sich den Worten für mich die treffendste Art und Weise wie ein Musiker oder Choreograph. Sein Theater ist vollkommen organisch, getrieben von der Bewegung des Lebens, seinem Rhythmus, seinen Brüchen. So führt er die Schauspieler in ihre tiefsten Tiefen und lässt die Texte, die er auswählt, strahlen.“ Das sagt die gegenwärtig wohl berühmteste und meistgespielte Bühnenautorin, die Französin Yasmina Reza, über den künstlerischen Chef der Berliner Schaubühne. Für ihn schreibt sie zurzeit an einem neuen Stück, handelnd von einer Seitensprung-Beziehung hinter der feinen Fassade gepflegter Bürgerlichkeit. „Bella Figura“ wird im Mai 2015 unter Ostermeiers Regie an seinem Haus am Kurfürstendamm uraufgeführt werden – u.a. mit Nina Hoss, Mark Waschke, Renato Schuch und Lore Stefanek.

 

Übrigens, bei dieser Gelegenheit ein toller Tipp: Im BE läuft am 29. Januar (20 Uhr) mal wieder „Der Gott des Gemetzels“ von Yasmina Reza. Die sensationelle Zürcher Uraufführungs-Produktion zu Gast am Schiffbauerdamm in Starbesetzung mit Corinna Kirchhoff, Dörte Lyssewski, Michael Maertens, Tilo Nest. – Und demnächst, am 20. Januar, hat bei den Vaganten (Kantstraße) der Reza tolles Vexierspiel „Drei Mal Leben“ seine Premiere.

 

Der fließend Französisch sprechende Regiestar und in Umfragen der deutsche Lieblingskünstler der Franzosen arbeitet regelmäßig in Frankreich; 2009 wurde Ostermeier vom französischen Kulturministerium zum „Officier des Arts et des Lettres“ und vor kurzem erst zum „Commandante des Arts et des Lettres“ ernannt; die Verleihung des höchsten Ordens dieser Kategorie findet im Februar 2015 statt. Und: Seit einigen Wochen gibt es ein Interview-Buch mit Thomas Ostermeier von Gerhard Jörder in der Reihe „backstage“ im Verlag Theater der Zeit, Berlin (151 Seiten, 18 Euro).

 

Ostermeier, Jahrgang 1968, Sohn eines Bundeswehr-Offiziers aus Süddeutschland, gilt im Ausland als „das Gesicht des modernen deutschen Theaters“, als ein auf seine Schauspieler konzentrierter Regisseur „der neuen Bürgerlichkeit“. Seine Inszenierungen werden auf Tourneen in allen Kontinenten gefeiert. Trotzdem nörgelt die veröffentlichte heimische Kritik beständig an seiner Arbeit, so auch an seiner jüngsten, der Inszenierung von Lillian Hellmans Gesellschaftsdrama „Die kleinen Füchse“; eins meiner faszinierendsten Theatererlebnisse 2014. „Meine Ästhetik ist einfach nicht angesagt“, erklärt Ostermeier. „Alles lineare, realistische Erzählen wird schlicht als TV-Realismus etikettiert und abgetan.“ Diese Engstirnigkeit, diese Borniertheit breiter Kreise der auf Destruktionen und Verfremdungen erpichten und in gewisser Weise dogmatisch gefärbten Fachkritik irritiert und erschreckt nicht nur mich. In Jörders Interview-Büchlein erfährt man mehr dazu. Und zugleich natürlich auch viel über die Arbeitsweise dieses Künstlers, der in den ausführlichen Gesprächen eine packende Selbstdarstellung liefert – und obendrein eine aufschlussreiche Momentaufnahme vom Zustand des hiesigen Theaterbetriebs.

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