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Kulturvolk Magazin

Kulturvolk Blog Nr. 112

Kulturvolk Blog | Reinhard Wengierek

von Reinhard Wengierek

5. Januar 2015

Ins neue Jahr mit Gruß und Kuss und einem Tusch von Wilhelm Busch -


Will das Glück nach seinem Sinn

 

Dir was Gutes schenken,

 

Sage Dank und nimm es hin

 

Ohne viel Bedenken.

 

Jede Gabe sei begrüßt,

 

Doch vor allen Dingen:

 

Das, worum du dich bemühst,

 

Möge dir gelingen.

Komische Oper

Es macht ja fast gar keinen Sinn, für dieses Opernhaus zu werben, es ist immer ausverkauft. Erst recht sein Operetten-Betrieb, den neuerdings der fürs Historische besonders empfängliche Intendant Barrie Kosky endlich an diesem schönen neubarocken Haus etabliert hat, dem „Theater des Jahres 2014“, in dem einst unter Walter Felsenstein das realistische Musiktheater (neu) „erfunden“ wurde (als Gegensatz zur Rampensingsang-Oper). Und in dem zu Zeiten des späten Kaiserreichs sowie der Weimarer Republik die Berliner Operette üppig blühte und weithin strahlte.

 

Jetzt also, nach „Ball im Savoy“ und „Clivia“ (und dem Musical „West Side Story“) Jaques Offenbachs „Schöne Helena“. Für Regisseur Kosky ist diese geistreiche Antikenparodie und saftige Satire auf das Zweite Französische Kaiserreich „das Mutterschiff“ der Operette. Dort blüht das bis heute und wohl auf ewig Akute (Antike und Kaiserreich interessiert Kosky kaum): Nämlich der Ehebruch und dessen Einbettung ins Groteske, Komödien- und Klamottenhafte die schöne Helena lässt ihren flauen Gatten Menelaos sitzen und brennt durch mit dem flotten sexy Paris.

 

Das Betrügen, Hintergehen, Bloßstellen und Intrigieren schnurrt denn auch wie geölt über die Bretter (leider etwas holprig übersetzt, die geniale Translation von Peter Hacks wurde verpasst). Wir erleben den rasenden Jux, die tobende Ironie – oder anders gesagt: den totalen „Camp“. Bei ganz großer Musik (Offenbach!), super gespielt (Henrik Nanasi!). Alles raffiniert verschnürt als glitzerndes Riesenpaket. The biggest show in town neben dem Friedrichstadtpalast (es lebe die Ausstattung, das Ballett, die Choreografie). Muss man gesehen haben. Auch wenn brave Haufrauen und biedere Herrchen (gibt’s die überhaupt noch?) womöglich ein bisschen außer Atem kommen. Denn es geht ungewöhnlich frech zu – aber gekonnt. Eine gigantische Gute-Laune-Manufaktur! Elegant, frivol, immerzu charming! Die reine Lebenslust!

 

Hinweis: Die Komische Oper veranstaltet vom 21. Januar bis zum 8. Februar ein opulentes Operettenfestival. Da kommt auf einen grandiosen Ruck alles, was es derzeit am Haus in diesem Genre gibt inzwischen eine Hausmarke dieses Instituts. Und sein originärer Coup.

 

Dieses Festival ist ein so luxuriöses wie singuläres Unterfangen – ohne Übertreibung, ein Operettenfest dieses Ausmaßes und vor allem dieser Qualität dürfte in Europa seinesgleichen suchen. Ist mithin ein Muss für Fans von Witz, Pepp, Charme und Kessheit, von tollen Stimmen, Glamour und Raffinesse. – Und mittendrin im Happening gibt es noch eine Premiere: nämlich die Kammerspiel-Operette „Eine Frau, die weiß, was sie will!“ von Oscar Straus; Uraufführung war 1932 im Metropol (der heutigen Komischen Oper) mit der legendären Fritzi Massary. Jetzt spielen in diesem verrückten Stück zwei Personen 30 Rollen: Die große Dagmar Manzel und Max Hopp, ein Wahnsinns-Duo; Regie: Kosky, musikalische Leitung: Adam Benzwi. Ein besseres Casting ist kaum denkbar. Wer das verpasst, der darf sich schwarz ärgern.

Kammerspiele des Deutschen Theaters

Schon der Titel ist Ironie pur. Weil: Diese Finsternis ist nun eben überhaupt nicht lächerlich, sondern Entsetzen pur; obgleich es allerhand zu lachen gibt. Denn der wirklich geistreiche, raffiniert spielerische Autor Wolfram Lotz, dessen ausgeprägte Sprachmächtigkeit fein poetisch grundiert ist, denn dieses schöne Talent (wohl eher im Dichterischen als Dramatischen) hat sein neues Stück „Die lächerliche Finsternis“, mächtig aufschäumt mit Witz und Komik. Auch wird nie ganz klar, inwieweit im permanent Ironischen der Zynismus mitspielt, was den fantastischen, mindestens doppel-, meistens aber vielfachbödigen Text schon mal intellektuell ziemlich reizvoll macht.

 

Und die noch junge und äußerst fantasievolle Regisseurin Daniela Löffner (am DT profilierte sie sich prachtvoll fürs Zeitgenössische mit den Inszenierungen „Das Ding“ von Philipp Löhle und „Alltag & Ekstase“ von Rebekka Kricheldorf), die für‘s leichthin Spielerische so herrlich begabte Löffner langt denn auch kräftig zu mit elegant gemachten, echt komischen, freilich auch mal bloß arg blödelnden Einlagen.

 

Von Vergnügen oder gar von Lustigkeit will ich dennoch nicht reden. Das Kichern (obgleich im Premierenpublikum gern lauthals losgeprustet wurde), die Lustigkeit blieben mir immer gleich wieder im Halse stecken. Denn Lotz hat „hintenherum“ ein kleines todernstes Stück geschrieben: Ist doch die Finsternis die in uns immer schneller wuchernde Angst vor dem Fremden, Unheimlichen, letztlich Unerklärlichen, das uns – die liebe, schöne, schlimme, böse und bedrohliche Globalisierung! – immer heftiger, auch schmerzlicher auf den Pelz rückt. Das alte ewige Chaos der großen Welt schwappt in unser – vermeintlich! – ach so anheimelndes, solide gefestigt und gefügtes und sauberes Weltchen. Das stört und verstört. Auch, weil dabei zutage tritt, wie viel Dreck wir Westler selbst mit uns herum schleppen und welche Schuld wir haben am Unglück und Elend da draußen in naher wie weiter Ferne. Und wie wenig Empathie für „die anderen Kreaturen“.

 

Lotz packt das alles – Dritte-Welt-Elend, Aufruhr, Afghanistan, Somalia, Religionsfanatismus, Terrorismus, Seepiraterie, Ausbeutung, Kolonialismus, unsere Kriege gegen die-da-dort, also die anderen Kreaturen mit gekonnter Naivität ins erhellend Groteske, Albtraumhafte. Wie anders wäre dieser Überkomplexität auch beizukommen in knapp zwei Stunden Theater. So lösen sich Zeiten und Räume auf. Und eine seltsam reale Phantasmagorie auf unseren kreuz und quer zerrissenen Globus wird entfesselt, in der zwei Bundewehrsoldaten, unterwegs in geheimer Mission im Auslandseinsatz, versacken (Alexander Khuon & Moritz Grove). Dabei haben die beiden Begegnungen der seltsamen oder sogar einigermaßen bekannten Art (Kathleen Morgeneyer in vielen verrückten Rollen).

 

Nebensächlich bleibt, dass der Autor sich an Joseph Conrads Roman „Herz der Finsternis“ (von Andreas Kriegenburg einst zur Eröffnung der Intendanz Ulrich Khuon am DT opernhaft-ernst theatralisch adaptiert) sowie an Francis Ford Coppolas Film „Apocalypse now“ vage anlehnt. Das mag man sich hinzu denken oder auch nicht. Daniela Löffler aber denkt in ihrer in sehr vielen Momenten saukomischen Inszenierung mit den drei klasse Spielern doch stets an solche Lotz-Sätze wie „Diese düstere Welt, in der alles bebt vor Leben.“ Oder: „Der kleine singende Vogel im Nest unseres Herzens.“ Singt der überhaupt noch? Oder krächzt er bloß noch? Oder ist er tot? Das sind die großen Fragen, die natürlich nicht klar beantwortet werden. Die Inszenierung gibt sie ans Publikum weiter. Wir haben da also was zum Grübeln. Danke.

Special-Tipp: DT-„Spotlight“

 

Die nächste Vorstellung der „Lächerlichen Finsternis“ ist am 10. Januar um 20 Uhr. Eine Stunde zuvor gibt es bei freiem Eintritt in der Kammerspiel-Bar „Spotlight. Theater der Autoren“ mit Wolfram Lotz. In diesem Special stellen sich, programmatisch zum Jahresauftakt, Autoren selbst vor (auf Lotz folgen Dea Loher, Nils-Momme Stockmann, Rebekka Kricheldorf). Das sinnige Motto dieser kleinen feinen Sache: „Ohne Autoren kein Theater. Ohne Text kein Spiel. Ohne Übermut kein Eigensinn. Ohne Überschreitung kein Zeitgeist.“

 

Die Dichter also jeweils auf ein Stündchen vor Beginn der Inszenierung eins ihrer Stücke hautnah im kleinen Kreis. Das Publikum darf sie dabei auch nach Herzenslust ausfragen. Prima Sache! Hier ein kleiner Zitatenschatz als Kostprobe des wundersam flachsinnigen, verrückt tiefsinnigen und also großartigen Wolfram Lotz: „Wenn wir schreiben, so propagieren wir die Fiktion! Die Fiktion ist unsere kümmerliche Hand, die aus der Kiste der Wirklichkeit heraus nach süßen Früchten greift… Wir dürfen in unseren Entwürfen nicht so tun, als gäbe es ein Heil, das zu erreichen sei, auf das wir uns setzen könnten, wie auf eine Frotteewärmflasche. Das unmögliche Theater ist die ewige Forderung. Das unmögliche Theater ist das fortwährende Scheitern in eine bessere Zukunft hinein und vorwärts in die Vergangenheit…“

 

Wie trefflich; der Poet hat gesprochen; alles weitere dann auf der Bühne in „Die lächerliche Finsternis“ am 10. Januar, 20 Uhr. Und wieder am 23. Januar in den DT-Kammerspielen.

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