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Kulturvolk Magazin

Kulturvolk Blog Nr. 107

Kulturvolk Blog | Reinhard Wengierek

von Reinhard Wengierek

1. Dezember 2014

Deutsches Theater


110 Minuten lang gibt Regisseur Stephan Kimmig nach Stichworten von Henrik Ibsen das altbekannte Stück „Verzweifelt rappeln in der großen Kiste namens Familienhölle“. Da werden alle grellen und stillen Nummern aus dem Psychopathen-Katalog durchexerziert; schauspieltechnisch fein ziseliert und komisch oder traurig anzuschauen. Man kennt das einigermaßen. Trotzdem lässt Kimmig in Henrik Ibsens schmerzlicher Parade der verkorksten, vergeblich nach Auswegen suchenden Selbstsucher „Die Frau vom Meer“ unentwegt nichts weiter als die hinlänglich bekannten Neurosen blühen und ins Kraut schießen. Sie überwuchern förmlich das finstere Gehäuse am norwegischen Fjord, wo das furchtbar unglückliche Ehepaar Wangel nebst ebensolchen Töchtern und Hausfreunden ihre Depressionen in kuriosesten Formen ablässt. Eine Hütte voller kaputter, manisch depressiver Typen, ist schon schlimm, ja doch. Trotzdem wird man nicht schlau, warum man sich das zu Gemüte führen soll. Und ob die Dauer-Demonstration der Exaltiertheiten nun bürgerliches Kabarett oder Trauerspiel sein soll oder ob wir uns gar im Karikaturen-Stadel befinden. Bis dann nach diesen quälenden 110 Minuten die beiden Wangels (Susanne Wolf und Steven Scharf) ganz plötzlich doch noch ein Viertelstündchen lang Ibsen spielen, also Schmerzensmenschen, Zerrissene, verklemmte Idioten voller Wut, Wollen und Nichtkönnen, wie es sie immer geben wird, selbst in den aufgeklärt emanzipatorischen Zeiten wie jetzt. Wolf und Scharf spielen das ganz lapidar, trefflich, spannend, toll. Titel dieser finalen Szene: Kurzer Diskurs über die Notwendigkeit der Auflösung einer Ehe. Aus und Schluss. Peng!

Komische Oper - Fritsch macht Mozart

Herbert Fritsch gilt als der momentan heißeste Regisseur im Theaterkessel. Die gängigen Stichworte dazu: Schalk von hohen Graden, hysterischer Theaterschreck, extrem komisch, durchtrieben dämlich, total genial. Gemeint ist hier in Berlin vor allem sein gefeierter Dreier an der Volksbühne; den Vorläufer, eine dämlich verkicherte Operettenparodie „Frau Luna“, lassen wir als Fingerübung beiseite.

Also da wäre erstens „Murmel Murmel“, ein edel gestyltes, musikalisch fein gestütztes Entertainment für elf super gelenkige Showspieler, die zum enorm variantenreichen Gemurmel des Wortes „Murmel“ das jeweils passende, aus dem alltäglich absurden Leben gegriffene Geschichtchen vorführen: solistisch, in Grüppchen oder chorisch. Ein Füllhorn von Einfällen kippt über die bonbonbunte Bühne. Sehr witzig, gar zauberhaft, aber auch erhellend und äußerst kunstvoll. Zweitens die Inszenierung der Spießerklamotte „Die (s)panische Fliege“ vom wilhelminischen Autorenduo Arnold & Bach mit Slapstick-Tempo, Clowns-Humor und greller Verkleidung. Drittens die hintersinnfreie Demonstration von parodistischem Singsang und Ulk unter dem trefflichen Titel „Ohne Titel Nr.1“ Von Nummer eins bis Nummer drei sehe ich: sacht absteigende Linie hinsichtlich Originalität und Witz.

Doch wer ist überhaupt dieser Fritsch? Sein Anfang war: Ein zerzaustes Zuhause. Der Vater mit 18 aus dem Kriegsgefangenenlager, die Mutter Bürokraft bei der US-Army in Augsburg da schreit Herbert störend dazwischen. Die Eltern trennen sich. Das Kind kommt zu den Großeltern, dann nach Hamburg, dort in die Schule, eine katholische: „Da lief es besonders streng. Und ich wurde behandelt wie ein Stück Dreck; igitt, ein Scheidungskind.“ Das prägt, da keimen Neurosen, vor allem aber Renitenz! Mit 17 schmeißt Fritsch die Schule, treibt sich rum, liest Hesse, Kerouac, solche Sachen. Will Dichter werden, spinnt rum, träumt. Und wird Junkie. Kommt frei auf Bewährung, kriegt die Auflage: Lern einen Beruf! Er sagt: „Schauspieler.“

Weil man da spinnen kann, träumen, toben. So denkt sich der Halbstarke die Schauspielerei. Bis heute. Kein Beruf, ein Daseinszustand. Mit dem fiel er schnell auf im Münchner Off um 1968. Man war (und so sollte es bleiben) überrumpelt, irritiert, angetan. Es fanden sich verbissene Kritiker, fanatische Förderer. Und nach langjährigem Austoben in der Provinz landet der wilde Fritsch schließlich Mitte der neunziger Jahre im Hauptstadt- und Welttheater Volksbühne Berlin zu Frank Castorfs Hochglanz-Zeit. Der exzessive Turbo-Spieler befeuerte als komisch keuchender Slapstick-Tragiker den Epoche machenden Castorf-Kult. Und Herbert war ein Star.

Etwas später, mit nunmehr fast 60 Jahren, klappt es selbst bei einer Riesen-Rampensau und einem monomanischen Hysterie-Performer wie Fritsch mit dem Rausch, mit der Ekstase und Totalverausgabung nicht mehr so wie früher. Also lässt er das fortan andere tun; von ihm dirigiert und inspiriert. Als Regisseur mit Graubart und Hornbrille zieht er ab Mitte der nuller Jahre über Land. „Bei mir dürfen Schauspieler all das machen, was ihnen schon auf der Schauspielschule verboten wurde.“ So inszeniert er sich alsbald, wer hätte es gedacht, in die Premiumklasse: Als sensationeller Einschläger beim Theatertreffen 2011. Umtost von Jubel und Buh mit auf Anhieb gleich zwei Stadttheater-Inszenierungen: Mit „Nora“ aus Oberhausen (Ibsens Emanzipations-Klassiker als groteske Bloßstellung bloß peinlicher Macho-Ballermänner) und „Der Biberpelz“ aus Schwerin (die Hauptmann-Komödie als gallige Comic-Raserei). Ein höchst intelligentes und originelles Doppel! Seither thront Herbert Fritsch an der Spitze. Alle wollen Herbert, der sich lauthals versteht als tabuloser „Entkrampfer“ – von den Krämpfen in den Seelen des Publikums und denen in den Regietheaterköpfen. Ein solcher Regisseur gibt freilich keine feinsinnigen Rollenporträts, keinen komplexen Seelenrealismus, der skizziert Comic-Figuren, pinselt Plakate. Als Abstraktionist organisiert er gigantische Übertreibungen, tollkühne Slapstickiaden, virtuose Sprechartistik. Dazu sein Nerv für papageienbunten bis rabenschwarzen Humor das macht ihn zum so bewunderten wie beschimpften König der Farce, wankend zwischen Zynismus und Sentimentalität. Ein toller Meister hochartifiziell arrangierter Shows, die unser aller Neurosen und Ängste laut brüllend oder aasig kichernd durchexerzieren. Sein Credo: „Theater als Kraftwerk. Oder Boxkampf, der die Leute in Rage bringt.“

Und nun Herbert Fritsch mit Mozarts „Don Giovanni“, diesem „scherzhaften Drama“, das randvoll ist von bis ins Kriminelle reichenden Leidenschaften. Mit einem supergeilen, exzentrischen Hecht als Drahtzieher, der nach den Sternen greift und in den Orkus stürzt. Der mit seiner himmlischen Verruchtheit eine ganze Gesellschaft fasziniert und um den Verstand bringt. -- Aber was sehen wir bei Fritsch in der Komischen Oper? Eine grellbunte Gesellschaft grotesk Herumtobender, einen Allotria-Verein, eine Karikaturen-Kiste, derweil Mozarts Musik ein großes Menschentheater aufblättert. Doch Menschen kommen in dieser Inszenierung, in der unentwegt zarte Riesengardinen über die Leerbühne wedeln (Bühnenbild: Fritsch), Menschen kommen da nicht vor. Nur Puppen, Hampelmänner und -frauen, fantastisch karnevalesk kostümiert (Victoria Behr). Sie alle leiden heftig an Fallsucht, zappeln und zittern immerzu und fassen sich fleißig ans Geschlechtsteil.

Fritsch über seine Arbeit im Programmheft: „Ich habe noch nie ein Stück ‚verjuxt‘. Verjuxen würde bedeuten, dass ich irgendwas mit einem Stück mache und die Darsteller irgendwelche Grimassen schneiden und das war’s. Gezielt, im Takt und trainiert Grimassen zu schneiden und sich zu verrenken, das ist interessant und kein Jux.“ – Stimmt, alle Darsteller sind super trainiert beim Grimassieren und Verrenken, doch ist das noch lange nicht abendfüllend. – Fritsch: Ich kämpfe gegen eine vorherrschende Theaterästhetik, die mir schon lange nichts mehr erzählt, die auf einem verquasten scheinintellektuellen Naturalismus beruht.“ – Na, da soll sich der Herbert mal umgucken auf unseren Bühnen, von wegen scheinintellektueller Naturalismus; da sind längst Dekonstruktion und Abstraktion heimisch geworden.

Die Fritsch-Ästhetik der karikierenden Zerrbilder mag punktuell funktionieren und erhellende Akzente setzen, als alleiniges Kunstmittel allem übergestülpt – das erzählt nicht allzuviel, das wird nur peinlich und langweilig mit der Zeit. Ein paar neue Gedanken zum Stück sollte ein Regisseur sich schon machen (Tipp für die Zukunft!); eine bunte Girlande lustiger Einfälle ist da zu wenig. Und so haut ein „Giovanni“ als Tralala-Klamotte mit Musik voll daneben. Es sei denn, man mag das atemlose Herumballern mit Mozart-Kugeln.

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