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Kulturvolk Magazin

Kulturvolk Blog Nr. 10

Kulturvolk Blog | Reinhard Wengierek

von Reinhard Wengierek

9. November 2012

Gerhart Hauptmann 150


„Übrigens“, schreibt Frank Wedekind, „G. H. sieht aus wie ein Tollhäusler. Mit seinem grotesken, etwas blöden Profil, mit rattenkahl geschorenem Schopf und schweren, nussfarbig dunklen Wollkleidern, die ihm um den Leib hängen, als hätte sie der erstbeste Dorfschneider verfertigt.“ Da lästert ein Berühmter wohl auch aus Eifersucht über einen zweifellos noch Berühmteren. Es ist Wedekinds Kollege Gerhart Hauptmann, der damals so um fünfzig war.

Jetzt, am 15. November, feiern wir seinen 150. Geburtstag. Das Deutsche Theater, Ort vieler Hauptmann-Uraufführungen, mit denen – teils über Skandale („Die Weber“; der Kaiser kündigte sein Abo!) – Theatergeschichte geschrieben wurde, das DT feiert seinen Haus-Klassiker drei Tage lang (ab 16.11.) unter dem nun ja hinreißenden Motto „Nu jaja, nu neenee…“. Mit Lesungen, Film und G.H.-Spezie Peter Sprengel (seine Monographie über „G.H. im Dritten Reich“ ist hochspannend wie auch die von ihm herausgegebenen Hauptmann-Briefe sowie die Tagebücher von Ehefrau Margarete; soeben erschien Sprengels Hauptmann-Biografie „Bürgerlichkeit und großer Traum“). Und natürlich feiert das DT sich selbst mit Michael Thalheimers beiden Regie-Sensationen „Die Weber“ (17.11.) und „Die Ratten“ (18.11.).

Die Staatsbibliothek gibt am 15. eine Geburtstagsparty mit Vorträgen, Lesungen, Musik und Prosecco, dazu eine Foyer-Schau mit Hauptmann-Autographen. Der Wedekindsche Schmäh steht übrigens nebst anderen Sottisen über den Großschriftsteller an die Wand gepinselt im Hauptmann-Haus Erkner, wo die Familie H. in erster Ehe lebte und deren Söhne Ivo, Eckart, Klaus geboren wurden. Es waren „grundlegende Jahre“, erinnert sich der Nobelpreisträger, Nationaldichter und selbsternannte Nachfolger Goethes. „Mit der märkischen Landschaft aufs innigste verbunden, schrieb ich dort ‚Fasching‘, ‚Bahnwärter Thiel‘ [Premiere am 17. im Gorki] und mein erstes Drama ‚Vor Sonnnenaufgang‘. Die vier Jahre sind sozusagen die vier Ecksteine für mein Werk geworden“ heißt es in einem Brief an die Gemeinde Erkner. Die betreibt im „Ecksteinhaus“ hingebungsvoll ein sehr feines, frisch und geistreich hergerichtetes, amüsant lehrreiches Literaturmuseum. Mal wieder vorbei schauen! Chef Stefan Rohlfs hat jetzt gemeinsam mit Hauptmann-Urenkelin Harriet den von liebender Zurechtweisung und liebender Unterwerfung geprägten Briefwechsel zwischen Vater Gerhart und dem ältestem Sohn Ivo herausgebracht –  als keck flackernde Geburtstagskerze.

Hauptmann-Dramen-CD

Bei mir zu Hause wird derweil nicht geflackert, sondern dramatisch gedröhnt. Donner rollt im CD-Player, dann kracht’s: Die Weber im schlesischen Eulengebirge anno 1844 schlagen um sich. Und hauen zu –  irrer Tumult; das Drama für Sofahocker als Hörspiel. Einar Schleef befand, „Die Weber“, das sei die erste deutsche antike Tragödie. Wahrlich, immer steckt in Hauptmanns genau gezeichneten Figuren des Menschen ewige Physiognomie. Im Wirrwarr des Einzelnen dräut zugleich Archetypisches, Schicksalhaftes. So sehr seine Stücke wie „Die Weber“, „Der Biberpelz“, „Fuhrmann Henschel“, Michael Kramer“, „Die Ratten“, alle entstanden um die vorvorletzte Jahrhundertwende und herausgekommen in Berlin am Deutschen Theater und eben jetzt in der Hör-Kassette vereint (plus das 1932er Spätwerk „Vor Sonnenuntergang“), so sehr diese naturalistischen Dramen Zeitstücke sind, sind sie dennoch „nicht abgeschriebene Wirklichkeit und naturalistischer Sansculottismus“ (Thomas Mann).

Sie sind also vor allem grandiose Kunstwerke mit lebensprallen Figuren: Mit den armen Webern, dem unglücklich liebenden Fuhrunternehmer Henschel (Walter Richter) oder dem mit glücklicher Liebe ins Unglück fallenden Geheimrat Clausen (Heinz Hilpert). Dem mit Kinderlosigkeit geschlagenen Muttertier Frau John (Traute Rose) oder dem an Kunst- und Daseinsansprüchen scheiternden Vater und Sohn Kramer (Albert Bassermann, Hans Quest); mit dem frechen Waschweib Wolff (Therese Giehse) und dem wahnwitzigen Amtmann Wehrhahn (Kurt Horwitz) in der Komödie vom geklauten Biberpelz. Die Milieus von vor reichlich hundert Jahren mögen uns fern sein. Aber der Figuren Fühlen, Denken, Handeln hat viel zu tun auch mit uns hier. Bedrängt durch Nähe sowie die starke, vehement zupackende Sprache, deren Macht gegenwärtig so leichtfertig gern gering geschätzt wird. In dieser historischen „Großen Hörspiel-Edition“ des Rundfunks vermag sie sich groß entfalten. Dafür stehen allein schon die genannten Schauspielernamen; sie gehören sämtlich in die ferne Zeit des deutschen Nachkriegstheaters. Denn jenes halbe Dutzend zentraler Hauptmann-Texte wurde von verschiedenen westdeutschen Sendern in den 1950er und Anfang der 1960er Jahre produziert. Freilich, in aller sprechtechnischen Virtuosität der Stars von damals schwingt zuweilen ein hoher, heutzutage eher befremdlich deklamatorischer Ton mit.

Für manchen mag das wie aufgewirbelter Feinstaub sein. Staatstheater-Patina. Gelassenere Ohren aber mögen da eine subtile Art irritierender Verfremdung heraushören; eine besondere Würze dieser wuchtigen Dramatik aus dem goldenen Fonds des deutschen Theaters, das hier zum Welttheater wurde.   Natürlich, ein jedes Stück will gespielt sein. Doch bei den besten geht’s auch allein mit Hören. Die Inszenierung erblüht im Kopf.

Deutsches Theater

„Lass ihn uns kaltmachen.“ Ein derart schlagend kurzer Satz wäre Thomas Mann, dem Hauptmann-Verehrer (tolle Lobreden nebst Mynheer Peeperkorn im „Zauberberg“) sowie dem Weltmeister im Langsatzbauen, nie über die Lippen geschweige denn aufs Papier gekommen. Ein solch kraftmeierisch knapper Satz ist Sache von John von Düffel, dem Weltmeister im Eindampfen dicker Wälzer. Ob 500 Seiten oder 1000, ob „Der Turm“ oder „Buddenbrooks“: Kein Problem! Düffels geniale Streich- und Presswerkstatt verschlankt alles literarisch Dicke – aber eben auch Fette, Große – zum praktikablen Format für die hinteren Jeanstaschen.

Das begeistert pfiffige Theaterdirektoren. Die wollen sich, als gäbe es nicht genug erregende Dramen, an die um sich greifende Mode hängen, mit Kurzfassungen diverser Erfolgs-Romane (oder -Filme) auf ihren Bühnen zu reüssieren. Klappt sogar; meistens. Das Publikum denkt: Super, kriegt man das dicke Ding in drei Stunden mundgerecht. Wie derzeit Manns Gottsucher-Geschichte „Joseph und seine Brüder“ am Deutschen Theater. Stimmt, der alttestamentarische Plot wird korrekt abgespult. Doch um was es da alles geht, das bleibt weiterhin verpackt zwischen den 1829 Druckseiten (Aufbau Verlag 1974). Der große Zauberer als Tommy eines Lexikon-Theaters, das an der Rampe keck Stichworte ablässt („Lass ihn uns kalt machen“ – die Gebrüder über ihren Bruder Joseph). Um wenigstens das Honorar zu rechtfertigen, steuert die holländische Gastregisseurin Alize Zandwijk noch ein paar hübsche Bühneneffekte bei. (Sinnigerweise wieder am 15.11.)

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