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Kulturvolk Magazin

Kulturvolk Blog Nr. 273

Kulturvolk Blog | Reinhard Wengierek

von Reinhard Wengierek

5. November 2018

HEUTE: 1. „VIVID“ – Friedrichstadt-Palast / 2. Kulturvolk-TV-Theatertalk / 3. Mitreden: Braucht es einen neuen Realismus im Theater?

1. Friedrichstadt-Palast: - Parade der Superlative

VIVID © Brinkhoff/Mögenburg
VIVID © Brinkhoff/Mögenburg

Die Rechnung ist aufgegangen: Nicht Kleckern, sondern Klotzen. Aber: Klotzen mit den richtigen Sachen. Freilich, da steht an erster Stelle das Geld: Zwölf Millionen Euro hat Intendant Berndt Schmidt mit reichlich Wagemut locker gemacht für die „Grand Show VIVID“. Das Sprichwort gab dem Mittfünfziger Recht – er wagte und gewann.

 

Das war schon bei seinem Amtsantritt 2007 so, als schwerste Bedenkenträger vor der „schwierigen Kiste“ Friedrichstadt-Palast warnten: Zu groß (Riesenbühne, Riesensaal, ein kostspielig fest engagiertes Riesenballett nebst Orchester – also ein nur schwerlich in den Griff zu kriegender Riesenapparat) – und noch dazu die starke Konkurrenz vor Ort. Doch Schmidt startete jenseits aller Unkerei mit allerhand gepumpten Moneten von Anfang an kühn durch, rüstete etappenweise technisch hoch und zugleich künstlerisch. Also Masse, aber nichts ohne Klasse. Da war da nichts zu teuer, und alles war das viele Geld wert.

 

Schmidt über das neue Palast-Programm VIVID (englisch für lebendig, farbenprächtig, strahlend): „Um unsere Vision einer prachtvollen Show umzusetzen, wurde ein Kreativteam aus den Bereichen Tanz und Akrobatik, Choreographie, Komposition und Text, Bühnen-, Licht-, Video-, Sound-, Effekt- und Kostümdesign, Ingenieurswesen, Stunt-, Comedy- und Schauspieltraining zusammengestellt. Verteilt auf fünf Zeitzonen in 15 Städten hat das Team rund um die Erde zwei Jahre lang gearbeitet. Emails und Videokonferenzen waren die Grundlage dieser Zusammenarbeit mit wöchentlichen Meetings.“

 

Was für eine Fülle von Gewerken/Berufen. Was für ein Zusammenspiel von Kunst, High-Tech, Handwerk; darunter – das ist nicht zu hoch gegriffen ‑ mit Weltmeistern oder Weltstars der jeweiligen Branche. Was für ein weit gespanntes Netzwerk von Melbourne über Berlin bis Las Vegas.

 

Mit im Netz beispielsweise Philip Treacy, den The Times zum „berühmtesten Hutmacher der Welt“ ernannte; sein Kopfputz schmückt gekrönte Häupter und den Adel des Pop. Oder die kanadische Autorin, Regisseurin und Choreographin Krista Monson, die als Artistic Director den anhaltenden Welterfolg des Entertainment-Giganten Cirque du Soleil managt und ansonsten in Las Vegas, New York, Mailand, Macau, Orlando oder Tokio arbeitet. An ihrer Seite als Co-Regisseur steht Oliver Hoppmann, einer der jüngsten Showmacher in der europäischen Szene, seit 2015 Kreativdirektor des Palastes. Dazu der Kostümbildner Stefano Canulli mit seinen wahrlich sagenhaften Kreationen, für deren enorm aufwändige, extrem komplizierte Herstellung internationale, vor allem aber auch hiesige Studios sorgten. Massenhaft Augenfutter vom Feinsten.

 

Dieses Spotlight belichtet bloß einen kleinen, freilich wesentlichen Teil der Stabliste; der große Rest besteht, versteht sich, gleichfalls aus Spitzenkönnern ihres Fachs. Soviel zu solch eher nüchtern klingenden Ansagen wie „Kreativteam“, „meisterliche Mitarbeiter“, „Netzwerk“. Das alles muss einer erst mal engagieren und unter einen Hut bringen können, abgesehen von den hundert mitwirkenden Künstlern (mit 27 Muttersprachen aus entsprechend vieler Herren Länder). Die 12 Millionen Produktionsbudget (immerhin muss VIVID sich über mindestens zwölf Monate Laufzeit behaupten), das viele Geld ist also zielgenau ausgegeben worden. Und genau das meint Berndt Schmidt mit Klotzen. Bravo!

 

Bravo für dieses weltweit gewiss unvergleichliche Kunststück eines überwältigenden Theaters der Räume und Bilder (vom US-amerikanischen Designer Michael Cotten), die wiederum besonders inspiriert sind durch die immer wieder staunen machenden Optiken der Natur – die Welt der Pflanzen, der Blüten, des fliegenden, schwimmenden oder unter Wasser wabernden Getiers. In diese Phantasmagorie des Organischen (suggestive Großvideos) stürzen selbstredend Regie-kontrolliert kunstvoll verkleidete Menschen – Sänger, Tänzer, Artisten. Höchst wundersam.

 

Zwei künftige Stars (Palast-Nachwuchsförderung!) seien genannt, auch, weil sie aus Berlin kommen: Nämlich die an der UdK ausgebildete Sängerin Devi-Ananda Dehm als durch die Szenen geisternde futuristische Fantasiegestalt sowie Andreas Bieber als rockender Entertainer mit Stock und Zylinder; kürzlich als Zahlkellner Leopold im „Weißen Rössl“ im Renaissance-Theater. Und wenn wir schon beim Singsang sind: Mit herrlich strömendem Mezzosopran thront über allem die weltweit auch im Film agierende US-Amerikanerin Glacéia Henderson. Das Raffinierte bei solistischen Auftritten: Monumentale Momente (unter Einsatz der mächtigen Maschinerie) wechseln mit sehr intimen, die ihre Intensität vornehmlich aus der Aura und Ausdruckskraft der Künstler ziehen.

 

Also das wundersam Technische flimmert, dampft, blitzt, säuselt und swingt oder dröhnt auch gelegentlich ordentlich „Wow!!!“. Doch niemals wird dabei der wie auch immer (teils bis zur verrückten Skulptur) verkleidete, toll tanzende oder spielerisch weit, weit hoch durch die Luft wirbelnde Mensch nieder gebrüllt. Der wuchtige Apparat dominiert die Menschen nicht, er dient ihnen auf fantastischste Art. Auch der geschickt austarierte Wechsel der Temperaturen und Tempi von Hitzig und Kühl, Grell und Meditativ, Rasendem und Retardierendem bestimmt die Poesie des Abends und macht ihn so spannungsvoll. Ganz abgesehen vom immer wieder überrumpelnden Wechsel von atemberaubend kühler Erotik und handfester Sinnlichkeit.

 

Die Show hat was von einer gigantischen Wunderkammer. Und vergisst doch bei aller Coolness nicht ihre Wurzeln: nämlich den Zirkus, die imaginäre Wolke Sägespäne, das Clowneske, Spaßmacherische, den dreisten Scherz, den deftigen Humor einer Lustigen Person. Das artifiziell Gestylte, auch sagenhaft Entrückte also immer gut gemischt mit dem Verspielten, auch dem sagen wir Plebejisch-Volkstümlichen. Muss man können! Hier ward es zum großen, ja unvergesslichen Faszinosum. Die Wellen der Begeisterung schlugen hoch in einer „gewöhnlichen“ Vorstellung wochentags. Mit Standing Ovationes!

 

Nebenbei bemerkt, es gibt sehr wohl sehr teure Karten, aber eben auch in den höheren Rängen (bei überall prima Sicht im Saal) ab 19,80 Euro für viele erschwingliche Tickets. Man darf gar nicht dran denken, was man andernorts dafür zahlen müsste. Doch das Derartige spielt halt nur in Berlin… ‑  „Schon als ich zum ersten Mal in dieses so außergewöhnliche Haus kam und sah, was alles dort passiert, war ich augenblicklich fasziniert“, sagte Regisseurin Krista Monson. Wie auch hätte sich eine im Metier derart welterfahrene Dame irren können.

2. TV-Rederei über Theater

Michael Frowin © bernd brundert photographie
Michael Frowin © bernd brundert photographie

Heute, Montagabend, 20.15 Uhr, die „Montagskultur unterwegs“ aus dem Studio in der Friedrichshainer Rudolfstraße 1-8 (nahe S- und U-Bahnhof Warschauer Straße). Mit Alice Ströver sowie den Kritikern Arno Lücker und Reinhard Wengierek. Der besondere Gast ist diesmal Michael Frowin, künstlerischer Leiter des Kabaretts „Die Stachelschweine“. ‑ Kritisch betrachtet werden die Premieren „Außer sich“ von Sasha Marianna Salzmann (Gorki Theater), „VIVID“ (Friedrichstadt-Palast) und „Champignol wider Willen“ von Georges Feydeau (Schaubühne). Später auch im Netz auf YouTube.

3. Tipp: - Realismus-Disput

Die Praktikerin antworten auf die Theorie: Ulrike Krumbigel © Jeanne Degraa
Die Praktikerin antworten auf die Theorie: Ulrike Krumbigel © Jeanne Degraa

Bei den endlosen Debatten über Kunst steht gegenwärtig die nach einem neuen Realismus im Theater. Was zu tun hat mit dem um sich greifenden Unbehagen an der seit gut einem Jahrzehnt gehypten wie gehassten postdramatischen Bühnenästhetik (exemplarisch vorgeführt in der extrem stimmungsmalerischen Hamsun-Ibsen-Inszenierung „Hunger. Peer Gynt“ im DT). Viele meinen, diese Art Formlosigkeit (keine Story, keine Figuren, kein Drama) bedrohe das Theater als Medium kritischer Reflexion. Dagegen opponiert ein Realismus, der mehr meint als die einfache Widerspiegelung der Realität oder deren unmittelbare Präsenz im Theaterraum.

 

Hier einige Fragen, die zur Diskussion stehen bei einem Streitgespräch, das die Peter-Hacks-Gesellschaft veranstaltet: Wie funktioniert ein Text auf der Bühne? Was eigentlich macht ein Schauspieler und wie ist dessen Verhältnis zum Text? Wie befördert die Regie Text und Schauspiel durch das Einrichten einer Szene? Wie blickt die Dramaturgie auf die dramatische Situation? Wie steht das so entstandene Bühnenwerk zur gesellschaftlichen Wirklichkeit?

 

Auf dem Podium: die Schauspielerin Ulrike Krumbiegel, der Dramatiker Wolfram Lotz, der Regisseur und Autor Armin Petras und der Dramaturg Bernd Stegemann. Am 9. November, 19 Uhr im Roten Salon der Volksbühne.

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